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PROGRAMMHEFT

Exil

eine Europäische Erzählung
Von Nuran David Calis
David Baltzer
ca. 1 Stunde 45 Minuten • Keine Pause
Uraufführung: 14 Jan 2023
»Immer wenn mir das Bild jener traurigen Nacht vor Augen tritt, die für mich die letzte Zeit in der Stadt bedeutete, immer wenn ich mich an die Nacht erinnere, in der ich so viel Liebes verließ, fällt aus meinen Augen auch jetzt noch ein Tropfen.«
Ovid

INHALTSVERZEICHNIS

Besetzung

ZUM STÜCK

Die Zahl der Geflüchteten ist erheblich gestiegen, so meldete bereits Ende 2021 das UN-Flüchtlingswerk: 84 Millionen Menschen seien weltweit auf der Flucht vor Gewalt, Krieg und den Folgen des Klimawandels. Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen, tun dies oft nicht freiwillig. Verbannung, Ausbürgerung oder politische Verfolgung im eigenen Land zwingen sie dazu. Europas Außengrenzen an Land und auf See werden jedoch strengstens bewacht. Menschenrechtsverletzungen im Namen der Grenzsicherung und illegale Pushbacks sind an der Tagesordnung. Wenn die Menschen es ins Exil geschafft haben, arbeiten sie häufig daran, die politischen Verhältnisse im Heimatland zu ändern und so eine Grundlage für eine Rückkehr zu schaffen. Ausgehend vom russischen Angriffskrieges in der Ukraine und der Fluchtbewegungen vergangener Jahre will die Produktion EXIL u. a. die aktuellen Lebensbedingungen Geflüchteter mit künstlerischen Mitteln untersuchen.

Nuran David Calis erarbeitete am Schauspiel Köln bereits die Keupstraßen-Trilogie (DIE LÜCKE, GLAUBENSKÄMPFER und ISTANBUL) sowie HERERO_NAMA, VERHAFTUNG IN GRANADA und zuletzt MÖLLN 92/22. In seinen Inszenierungen bringt er oft Expert*innen und Schauspieler*innen zusammen und beschäftigt sich intensiv mit Themen rund um Rassismus und Migration.

VIDEO-INTERVIEWS

Der Videokünstler und Journalist Karnik Gregorian sprach mit vier Expert*innen über Flucht, Migration und die Grenzen der Europäischen Union.
Mohamed Amjahid
Marie Gregor
Dr. Céline Barry
Dr. Patrick Kroker

Biografien

Mohamed Amjahid
Mohamed Amjahid wurde als Sohn sogenannter Gastarbeiter*innen 1988 in Frankfurt am Main geboren, die Schule besuchte er bis zum Abitur in Marokko. In Berlin und Kairo studierte er Politikwissenschaften und forschte an verschiedenen anthropologischen Projekten in Nordafrika. Bereits während des Studiums arbeitete er als Journalist, unter anderem für die taz, die Frankfurter Rundschau und den Deutschlandfunk. Amjahid volontierte nach seinem Master-Abschluss beim Tagesspiegel in Berlin. Danach arbeitete er als politischer Reporter für die Wochenzeitung Die Zeit und das Zeit Magazin.
Er schreibt als freier Journalist unter anderem für den Spiegel und die taz. Derzeit arbeitet er an mehreren neuen Buchprojekten. Anthropologisch und journalistisch fokussiert er sich auf die Themen Menschenrechte, Gleichberechtigung und Umbrüche in den USA, Europa, den Nahen Osten und Nordafrika.
Dr. Céline Barry
Dr. Céline Barry ist Postdoc am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung (ZIFG) der TU Berlin und lehrt zu Feminismus, Rassismus und Intersektionalität in postkolonialen Kontexten. Ihr Ziel ist eine politisierte Sozialforschungspraxis, die am Alltag ansetzt, kreative Ausdrucksformen zulässt und akademisches Wissen provinzialisiert. In ihrer Forschung befasst sie sich soziologisch mit afrikanischen und Schwarzen feministischen Bewegungen und Theorien, die sie für tiefgreifende Dekolonisierungsprozesse als unverzichtbar erachtet. Eine materialistische Perspektive, die die Kritik der neokolonialen Ökonomie und imperialer Ideologien in die Analyse einbezieht, begleitet sie dabei. Im Hinblick auf die Dekolonisierung der Bildung erarbeitet sie mit ihren Kolleg*innen am Institut Möglichkeiten der Überarbeitung und Neugestaltung der Curricula, Lernräume, institutionellen Prozesse und transnationalen akademischen Beziehungen. Sie ist in unterschiedlichen antirassistischen Initiativen aktiv, u.a. in der KOP Berliner Kampagne für die Opfer rassistischer Polizeigewalt und bei dem Schwarzen Community-Verein EOTO e.V.
Marie Gregor
Marie Gregor studiert Politik und Gesellschaft sowie Ethnologie an der Universität Bonn. Zudem ist sie Vorstandsvorsitzende des gemeinnützigen Vereins Project NADIYA e.V. Seit der ersten Woche der russischen Invasion liefert der Verein regelmäßig dringend benötigte Hilfsgüter in die Ukraine. Außerdem baut der Verein mit der ukrainischen Partnerorganisation BASE UA ein Emergency Response Makerspace auf, welcher nachhaltig infrastrukturelle und handwerkliche Nothilfe im Osten der Ukraine gewährleisten soll. Vorher konnte Marie Gregor für Amnesty International und andere ehrenamtliche Tätigkeiten u.a. in der Geflüchtetenhilfe arbeiten.
Dr. Patrick Kroker
Dr. Patrick Kroker studierte Rechtswissenschaft an den Universitäten Leipzig, Trier und Lissabon. Er war Assistent der Nebenklage an den Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia und promovierte 2012 zur Opferbeteiligung in Völkerstrafverfahren an der Universität Hamburg. Er arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hamburg und an der Hertie School of Governance in Berlin. 2014 war er Postdoc-Fellow der Harvard Humanitarian Initiative und am Goldsmiths College London. Er ist als Rechtsanwalt zugelassen und ist seit November 2015 im Programmbereich »Völkerstraftaten und rechtliche Verantwortung« des ECCHR tätig. Dort leitet er unter anderem die Arbeit des ECCHR zu Menschenrechtsverbrechen in Syrien.
»Wir haben unser Zuhause und damit die Vertrautheit des Alltags verloren. Wir haben unseren Beruf verloren und damit das Vertrauen eingebüßt, in dieser Welt irgendwie von Nutzen zu sein. Wir haben unsere Sprache verloren und mit ihr die Natürlichkeit unserer Gebärden und den ungezwungenen Ausdruck unsere Gefühle.«
Hannah Arendt

GEDICHTE

Refugees

The EU is a virus.
It enters the life of a refugee.
Scans his future.
Transfers him to deportation,
which is
equal to death.
Edits his mind and deletes his smile.
So please stay away from the EU.
Stay at your own home and accept death.
Send me the address of the EU.
I am a professional antivirus, full
version registered 2016.
Shamshaid Jutt
Unverlierbares Exil
du trägst es bei dir
du schlüpfst hinein
gefaltetes Labyrinth
Wüste
einsteckbar.
Hilde Domin
I love my country:
I’ve swung on its plane trees,
I’ve slept in its prisons.
Nothing lifts my spirits like its songs and tobacco.
Nâzım Hikmet
Wenn ich „»Heimweh«“ sage, sag ich „Traum“.
Denn die alte Heimat gibt es kaum.
Wenn ich Heimweh sage, mein ich viel:
Was uns lange drückte im Exil.
Fremde sind wir nun im Heimatort.
Nur das „Weh“, es blieb.
Das „Heim“ ist fort.“
Mascha Kaléko

Musikvideo

Abd Al Malik, Gibraltar

Der Musiker und Slampoet Abd Al Malik ist einer der bekanntesten Rapper Frankreichs. Der Song GIBRALTAR ist aus dem gleichnamigen zweiten Album des Künstlers und handelt von einem schwarzen Jungen in Gibraltar, der den umgekehrten Weg nach Marokko nimmt. Die Meerenge war eine der engmaschig befahrensten Flüchtlingsrouten vom afrikanischen Kontinent nach Europa.

Poetry-Film

Ghayath Almadhoun, ÉVIAN

Der Lyriker Ghayath Almadhoun wuchs in einem palästinensischen Flüchtlingscamp in Damaskus auf. 2008 kam er nach Schweden. In seinem Poetry-Film ÉVIAN nimmt er Bezug auf die Konferenz in Évian-les-Bains während der im Jahr 1938 Delegierte aus 32 Staaten zusammen kamen und die Aufnahme von Juden aus Deutschland und Österreich verhandelten. Die Konferenzteilnehmer bekundeten zwar ihr Mitgefühl gegenüber der jüdischen Bevölkerung, lehnten die Aufnahme zusätzlicher Flüchtlinge aber ab. Almadhoun versteht es in seiner Lyrik Vergangenheit und Gegenwart zu verweben und dabei ungewohnte Perspektiven zu schaffen.

Team

David Baltzer
Bühne: Anne Ehrlich
Video & Interviews: Karnik Gregorian
Licht: Jan Steinfatt
Dolmetscherin: Anastasiia Krasovska

Dank

Ein herzlicher Dank geht an unsere Interviewpartner*innen der Inszenierung Diaa Alkhalil • Hamado Dipama • Anastasiia Krasovska • Dashnee Mahmut • Rezvan Salimi-Kordbacheh • Alexander Smirnov • Alina Skoryk-Dorychevska

Ebenso möchten wir Mohsen Rezaei, Susanne Rabe-Rahman, Leiterin der Perspektivberatung beim Caritasverband der Stadt Köln danken, sowie der Skills Factory – Samos, Europe Cares e.V., Border monitoring und Sea-Watch.


Literaturangaben
Ovid: Lieder der Trauer. Die Tristien des Publius Ovidius Naso. Frankfurt 1997.

Hannah Arendt: Wir Flüchtlinge. Stuttgart 2016.

Shamshaid Jutt. In: Martin Gerner: Moria. System. Zeugen.
Flüchtlinge, Einheimische und Helfer in Zeitzeugenbegegnungen. Köln 2021.

Hilde Domin: Sämtliche Gedichte. Frankfurt am Main 2009

Nâzım Hikmet. In: Ilayda Buse Demirci: Translating Homesickness in Nâzım Hikmet’s Poems. Brüssel 2021.

Mascha Kaléko: Mein Lied geht weiter. Hundert Gedichte. München 2015