Ansichten eines Clowns

Foto: David Baltzer
von Heinrich Böll
Theaterfassung von Thomas Jonigk
SCHAUSPIEL
Depot 2
Dauer:
1 Stunde 50 Minuten • Keine Pause
Uraufführung: 11. Februar 2017
Trailer
Mehr als ein halbes Jahrhundert ist es her, dass Heinrich Böll seinen Roman ANSICHTEN EINES CLOWNS veröffentlichte, mehr als zwanzig Jahre, dass er im Nachwort zu einer Neuauflage dem Text bereits »Historizität« bescheinigte. Die Geschichte Hans Schniers, von Beruf Clown, abtrünniger Sohn eines Großindustriellen in der Braunkohlebranche, der von seiner Partnerin Marie, mit der er jahrelang in wilder Ehe zusammengelebt hatte, verlassen wird, war bei ihrem Erscheinen ein Skandal. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Bölls vorherige Romane als Fortsetzungsgeschichten publiziert hatte, lehnte diesmal einen Vorabdruck aus Angst vor »unnötigem Ärger« mit ihren Lesern ab. Die Darstellung einer außerehelichen, wenn auch monogamen, Beziehung, die nach 1968 niemanden mehr empörte, löste im Erscheinungsjahr einen weit größeren Sturm der Entrüstung aus, als die Kritik am Verbandskatholizismus oder die Unaufrichtigkeit einer geschichtsvergessenen Nachkriegsgesellschaft (die »sogenannte Entnazifizierung « nannte Böll eine der »folgenreichsten Heucheleien der europäischen Geschichte«). Vielleicht erklärt diese sehr unterschiedlich verteilte Empörungsfähigkeit der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit sogar, warum das Zusammenleben außerhalb der Ehe heute selbstverständlich ist, während die Gefahr des Verbandsdenkens, des aus einer Gruppe heraus über andere Richtens, virulent bleibt und Vergangenheitsvergessenheit mit neuem Furor sogar lautstark eingefordert wird.

Die Inszenierung des Romans durch den Regisseur und Autor Thomas Jonigk, der Bölls ANSICHTEN EINES CLOWNS neu für das Theater eingerichtet hat, verfolgt die Frage nach dem Umgang mit Vergangenheit auf mehreren Ebenen. Anders als der Roman zeigt sie keinen jungen Hans Schnier, der über die Auseinandersetzung mit jüngst Geschehenem und unmittelbarer Gegenwart in tiefere Erinnerungen gerät. Dem, den wir sehen, ist auch die Gegenwart des Romans schon längst Vergangenheit geworden. Was aber passiert, wenn ein Mensch steckenbleibt in seinen Auseinandersetzungen, stehenbleibt in seiner Entwicklung? Ein Phänomen, das nach schweren Verlusterfahrungen zu beobachten ist. Hans Schnier lebt, gealtert, noch immer als Außenseiter in einem reflexhaften Gefühl der Ungerechtigkeit. Seit dem Tod seiner Schwester Henriette, die von der Mutter zum »freiwilligen« Flakdienst gezwungen worden und kurz vor Kriegsende an einem unbekannten Ort gefallen war, hat er sich seinen Eltern entfremdet. Seine Familie bleibt ihm Wunde und »Demonstrationsobjekt der Gesellschaftskritik« (Günter Blamberger). Nachvollziehbar, aber ungestüm und selbstgerecht, zwingt er die Geister der Vergangenheit ins Zwiegespräch, bricht das Schweigen über die Tabus Geld und Vergangenheit, entlarvt Heuchelei und bürgerliches Besitzdenken als Ursprungsfaktoren totalitärer Herrschaft. Es ist der Wahnwitz der Vernunft, den er entblößt – und es sind die scheinbar unbeträchtlichen Verletzungen: »Alle sind so gerührt von all der Reue und den laut herausposaunten Bekenntnissen zur Demokratie. Große Sachen zu bereuen ist ja kinderleicht: politische Irrtümer, Mord, Antisemitismus … Aber wer verzeiht einem die Details, die alltäglichen Geschehnisse?«.
Bühne: Lisa Däßler
Kostüme: Barbara Drosihn
Musik und Sounddesign: Mathis Nitschke
Dramaturgie: Nina Rühmeier
Mit
Lou Zöllkau
Marie
Annika Schilling
Mutter
Thomas Brandt
Kinkel / Kostert / Zohnerer / Züpfner
Mohamed Achour
Prälat Sommerwild / Züpfner
Elisa Schlott
Anna / Frau Fredebeul / Bela Brosens
Ester Gyergyay • Trixi Janson
Henriette / Mutter
David Gyergyay • Alan Jakushov
Papst / Vater