Pardon wird nicht gegeben

Foto: Krafft Angerer
nach dem Roman von Alfred Döblin
In einer Bühnenfassung von Petschinka
Schauspiel
Depot 1
Dauer:
3 Stunden • Eine Pause
Premiere: 24. Mai 2019
Trailer
Binnen sechs Monaten schreibt Alfred Döblin PARDON WIRD NICHT GEGEBEN. Der Roman entsteht 1934 nach seiner Flucht aus Deutschland im französischen Exil, um »der Vereinsamung hier [in Paris] zu entgehen«, wie er seinem Freund Sigmund Pollag in einem Brief schreibt. Entgegen aller Hoffnung, stellt sich der Erfolg nicht ein, das Werk bleibt in der Besprechung weit hinter BERLIN ALEXANDERPLATZ zurück. Erst in den 70er und 80er Jahren, wird dem Roman im Zuge der Exilforschung Aufmerksamkeit geschenkt. Der in drei Kapitel (»Armut«, »Konjunktur«, »Krise«) unterteilte Roman erzählt eine über fast drei Jahrzehnte verfolgte Familiengeschichte. Im Vordergrund stehen die 1920er Jahre der Weimarer Republik und die Zeit der Weltwirtschaftskrise nach 1929; den Ersten Weltkrieg spart Döblin fast völlig aus.

Im ersten Teil bleiben der Mutter nach dem Tod ihres Mannes – einem »Unhold«, der ihr gesamtes Vermögen versetzte – nur noch ein Berg Schulden und drei Kinder: Karl, Erich und Marie. Sie ziehen von der Provinz in die Großstadt, vermutlich nach Berlin. Der Onkel, ein erfolgreicher Möbelfabrikbesitzer, bringt sie in einer spartanisch eingerichteten Mietwohnung unter. Der 16-Jährige muss sich schnell in der Rolle als »neuer Vater« zurechtfinden. Auf der Suche nach Arbeit trifft er in den Markthallen auf den Sozialrevolutionär Paul, dem »Befreier der Unterdrückten «. Karl, fasziniert von der einnehmenden Art des neuen Freundes, beginnt auf gemeinsamen Streifzügen durch die Proletarierviertel mit den anarchistischen Ideen zu sympathisieren. Doch die Mutter zwingt Karl seinen Kameraden zu vergessen, um die sozial deklassierte Familie vor dem Abstieg zu bewahren. Paul taucht unter.

Im zweiten Teil »Konjunktur«, erhält Karl eine Anstellung als Lehrling in der Holz- und Möbelfabrik des Onkels, während Erich seine Ausbildung zum Apotheker aufnimmt. Karl arbeitet hart, steigt auf zum Prokurist und übernimmt schließlich das Unternehmen. Er wird zu einem eben solchen »Industriegewaltigen« des Geldadels, gegen den sich er und Paul einst verschworen hatten. Die Spindel des Aufstiegs dreht sich immer schneller und höher: Er heiratet Julie, Tochter einer großbürgerlichen Familie und bezieht mit den gemeinsamen Kindern ein vornehmes Haus in der Vorstadt.

Der Aufstieg nimmt im dritten Teil ein jähes Ende, mit der »Krise«, die nicht nur die Fabrik, sondern nun auch seine Ehe bedroht, die Julie als »museales Gefängnis« bezeichnet. Die Ehekrise zeichnet Döblin analog zur einsetzenden Weltwirtschaftskrise, der ökonomische Niedergang wird mit der persönlichen Lebenskrise verschränkt. Sozial abgeschieden führt Karl fortan ein Doppelleben in Kneipen und Bordellen. Als Paul nach 25 Jahren plötzlich wieder in sein Leben tritt, zweifelt Karl an seiner bisherigen Existenz. Er steht am Scheideweg. Doch dann gerät er in den Straßenkämpfen zwischen der Bürgermiliz und den Aufständischen in die Fronten, denn: »Pardon wird nicht gegeben«. Am Ende des Romans wird noch einmal auf den vieldeutigen Titel hingewiesen. Dieser geht zurück auf Kaiser Wilhelms II. »Hunnenrede«. Am 27. Juli 1900 hielt er diese in Bremerhaven zur Verabschiedung des deutschen Expeditionskorps zur Niederschlagung des Boxeraufstandes in China. Ein militärischer Ausdruck als Leitmotiv, das sich bei Döblin auf den Klassenkampf und letzten Endes auf Karls Werdegang überträgt.

Döblin hat immer wieder beteuert, er habe eine »Familiengeschichte mit autobiographischem Einschlag« schreiben wollen. Darüber hinaus ist ihm ein Roman gelungen, der Züge verschiedenster Genres vereint: Ob Großstadt-, Entwicklungs- oder Gesellschaftsroman, PARDON WIRD NICHT GEGEBEN ist vor allem ein Zeitpanorama, das die politisch-ökonomischen Umschwünge einfängt und in einem Individualschicksal porträtiert.

Kostüme: Maria Roers
Video: Stefan Bischoff
Live-Kamera: Nazgol Emami
Musik: Knut Jensen
Dramaturgie: Lea Goebel