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PROGRAMMHEFT
META-SLEEP
Eine musiktheatrale Installation
nach Motiven von »LEONCE UND LENA«
nach Motiven von »LEONCE UND LENA«
Depot 2
Uraufführung: 03. März 2023
1 h 40 Min. • ohne Pause
Fotografieren und Filmen ist erlaubt.
Fotografieren und Filmen ist erlaubt.
INHALTSVERZEICHNIS
Besetzung
AVATARE: MANOT BÖHM / FLORA WERMSER-LEU & TIM SELLIEN / JAN JUNGHARDT
Team
Regie, Raum & Komposition: Robert Borgmann
Kostüme: Birgit Bungum
Video: Krzysztof Honowski
Licht: Michael Frank
Dramaturgie: Sibylle Dudek
REGIEASSISTENZ: DENNIS NOLDEN • BÜHNENBILDASSISTENZ: LUCIE HEDDERICH • KOSTÜMASSISTENZ: LINA HEPP, JONAS RITTER • INSPIZIENZ: CHARLOTTE BISCHOFF • REGIEHOSPITANZ: ANTONIA FRÄGER •
BÜHNENTECHNIK: MARTIN KRUTMANN, RÜDIGER STRATTNER • BELEUCHTUNGSEINRICHTUNG: MANFRED BREUER, FRÉDÉRIC DÉRIAZ • TONTECHNIK: AXEL BLOCK, HOLGER BROCHHAUS, RAPHAEL WEIDEN • VIDEO: TORSTEN DÖRING, JÖRG FOLLERT • PRODUKTIONSLEITUNG: OLIVER HAAS, PETRA MÖHLE, ALEXANDER KEMPE • STELLVERTR. LTG. WERKSTÄTTEN: ILYA PFALLER • DEKORATIONSAUSFÜHRUNG: MARTIN ARENZ, FLORIAN HOHENKAMP, FRANK HOHMANN, BORIS THELEN, DANIEL VOGT, WENCKE WESEMANN • KOSTÜMAUSFÜHRUNG: DANIELA HUNKE, SIMONE GARTNER-BROCHHAUS • SCHUHMACHEREI: DANIELA EHRICH • PUTZMACHEREI: DAPHNE VAN DER GRINTEN • KOSTÜMMALEREI: GUDRUN FUCHS, MARJA ADADE • ANKLEIDER*INNEN: PHILIPP EBERT, PETRA HARMUTH, CHARLOTTE CLEVE • MASKENBILD: DENISE ECKER, BIRGIT RIEDL, LENA THOMS • REQUISITE / EFFEKTE: LENA BORNTRÄGER, SUSANNE HAAF
Über »META-SLEEP«
»Es sieht so aus, als hätte die Welt auch uns Erwachsene nicht ganz, nur zu zwei Dritteilen; zu einem Drittel sind wir überhaupt ungeboren. Jedes Erwachen am Morgen ist dann wie eine neue Geburt«, schrieb Sigmund Freud vor fast hundert Jahren. Auch im 21. Jahrhundert haften Schlaf und Traum noch etwas Geheimnisvolles an. Im Schlaf eröffnet sich ein Raum des Irrationalen, Ängste und Begehren kollidieren. Wir können unsere Körper verlassen, uns selbst betrachten, fallen, sterben oder der großen Liebe begegnen. Georg Büchner lässt in LEONCE UND LENA die beiden Titelfiguren gemeinsam träumen, sinnieren, sich verwandeln. Hypnos, der Schlaf, ist der griechischen Mythologie nach der Zwillingsbruder des Todes, und so ist es nur folgerichtig, dass Leonce der schlafwandelnden Lena zuflüstert: »Laß mich dein Todesengel sein! Laß meine Lippen sich gleich seinen Schwingen auf deine Augen senken. Schöne Leiche, du ruhst so lieblich auf dem schwarzen Bahrtuch der Nacht, daß die Natur das Leben haßt und sich in den Tod verliebt.«
Doch schließlich ist nicht der Tod der Ausweg aus dem engen Korsett gesellschaftlicher Erwartungen, sondern die Transformation. Zu Automaten gewandelt kehren die zwei Königskinder zurück in die höfische Gesellschaft, um so der Vorherbestimmung einer arrangierten Ehe zu entfliehen. Vor dem Traualtar erkennen Leonce und Lena, dass sie das Schicksal längst eingeholt hat. Das Stück, geschrieben im Straßburger Exil, im Ausnahmezustand zwischen revolutionärer Desillusionierung und ökonomischer Not, wirkt selbst wie ein Fiebertraum.
Regisseur und Musiker Robert Borgmann nimmt die Motive von Traum und Transformation zum Ausgang einer künstlerischen Recherche über Körper-Grenzen, Erlösung, Posthumanismus und Künstliche Intelligenz. Ein Grenzgang zwischen Musiktheater und Installation, Meditation und Performance.
Doch schließlich ist nicht der Tod der Ausweg aus dem engen Korsett gesellschaftlicher Erwartungen, sondern die Transformation. Zu Automaten gewandelt kehren die zwei Königskinder zurück in die höfische Gesellschaft, um so der Vorherbestimmung einer arrangierten Ehe zu entfliehen. Vor dem Traualtar erkennen Leonce und Lena, dass sie das Schicksal längst eingeholt hat. Das Stück, geschrieben im Straßburger Exil, im Ausnahmezustand zwischen revolutionärer Desillusionierung und ökonomischer Not, wirkt selbst wie ein Fiebertraum.
Regisseur und Musiker Robert Borgmann nimmt die Motive von Traum und Transformation zum Ausgang einer künstlerischen Recherche über Körper-Grenzen, Erlösung, Posthumanismus und Künstliche Intelligenz. Ein Grenzgang zwischen Musiktheater und Installation, Meditation und Performance.
Über Robert Borgmann
Robert Borgmann, 1980 in Erfurt geboren, studierte Bildende Kunst in London und Regie an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« in Berlin. Es folgten zahlreiche Inszenierungen u. a. am dortigen Deutschen Theater, dem Schauspielhaus Zürich, dem Centraltheater Leipzig, Schauspiel Stuttgart, dem Berliner Ensemble und dem Wiener Burgtheater. Seit der Spielzeit 2009/10 inszeniert Robert Borgmann regelmäßig am Schauspiel Köln. Neben der Regie entwirft er auch die Räume seiner Inszenierungen. Für META-SLEEP übernimmt er ebenfalls die musikalische Komposition und verwandelt das Depot 2 in eine Installation, durch die sich Publikum und Darsteller*innen bewegen.
Zitate aus »LEONCE UND LENA«
»Mein Leben gähnt mich an, wie ein großer weißer Bogen Papier, den ich vollschreiben soll, aber ich bringe keinen Buchstaben heraus. Mein Kopf ist ein leerer Tanzsaal, einige verwelkte Rosen und zerknitterte Bänder auf dem Boden, geborstene Violinen in der Ecke, die letzten Tänzer haben die Masken abgenommen und sehen mit todmüden Augen einander an.«
»Warum kann ich mir nicht wichtig werden und der armen Puppe einen Frack anziehen und einen Regenschirm in die Hand geben, dass sie sehr rechtlich und sehr nützlich und sehr moralisch würde?«
»Wir haben alles wohl anders geträumt mit unseren Büchern, hinter der Mauer unseres Gartens, zwischen unseren Myrten und Oleandern. Der müde Leib findet sein Schlafkissen überall, doch wenn der Geist müd' ist, wo soll er ruhen? Es kommt mir ein entsetzlicher Gedanke, ich glaube, es gibt Menschen, die unglücklich sind, unheilbar, bloß weil sie sind.«
Die alchemistische Schrift »ROSARIUM PHILOSOPHORUM«, im späten Mittelalter entstanden und von C.G. Jung tiefenpsychologisch gedeutet, bildet einen zentralen Bezugsrahmen für Robert Borgmanns Arbeit »META-SLEEP«. Die Schrift umfasst eine Bilderfolge, in der die alchemistische Handlung und stoffliche Transmutation (»Umwandlung«) durch die Vereinigung zweier Menschen sinnbildlich dargestellt wird. Ein Gespräch zwischen dem Regisseur Robert Borgmann, der Dramaturgin Sibylle Dudek und der Schweizer Philosophin und Psychologin Sabine Baier über die Symbolik der Darstellungen und Jungs Sichtweise.
Sibylle Dudek: Das ROSARIUM PHILOSOPHORUM wird in der Rezeption der »spirituellen Alchemie« zugeordnet. Was versteht man darunter?
Sabine Baier: Die Alchemie bzw. die Wahrnehmung der Alchemie hat sich im Laufe der Zeit sehr gewandelt. Zur Blütezeit der Alchemie in der frühen Neuzeit herrschte ein stark ambivalentes Bild der Alchemie: Auf der einen Seite wurden Alchimisten gehängt und zum Tode verurteilt wegen Häresie, gleichzeitig waren sie an Höfen angestellt und sie verkauften kleine Hausmittelchen, und es war ein angesehener Berufsstand.
Mit dem Aufkommen der modernen Chemie hat schließlich eine Absetzungsbewegung stattgefunden. Alchemie galt als unwissenschaftlich, weil beispielsweise die verwendeten Stoffe nicht präzise gemessen wurde, weil es keine allgemeine Systematik gab, und weil immer dieser hermetische Aspekt mitschwang, dass Alchemie im Dunklen, Abgeschlossenen stattfand. Alchemie repräsentierte damit das Gegenteil der Aufklärung und der wissenschaftlichen Revolution, die ja vor allem Klarheit, Präzision und Helligkeit als Ideale vertraten. Nicht umsonst wird bis heute das durchsichtige Reagenzglas als ikonisches Ideal von Wissenschaftlichkeit verwendet.
Erst später, Ende des 19. Jahrhundert/zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Alchemie wiederentdeckt – und als vorrangig spirituelles Projekt gedeutet und damit positiv aufgewertet. Insbesondere die Tiefenpsychologie beschäftigte sich extensiv mit alchimistischen Texten und Darstellungen. So schrieb auch C.G. Jung über das ROSARIUM PHILOSOPHORUM viele Abhandlungen und Texte. Er betrachtete die Alchemie dabei immer als metaphysisches, spirituelles Projekt.
Die Alchemisten selber hätten ihr Schaffen sicher nicht als spirituelle Alchemie bezeichnet. Sie hätten gesagt: Es geht darum, den »Stein des Weisen« zu produzieren – Gold und Silber zu gewinnen. Ein stofflich Neues in die Welt zu bringen. Und nicht darum, den Alchemisten spirituell zu verbessern.
Sibylle Dudek: Was sah C.G. Jung in diesen Bildern? Wie hat er sie gedeutet?
Sabine Baier: Er sah in den Texten und Bildern des ROSARIUM PHILOSOPHORUMS die Weiterentwicklung des alchemistischen Geistes in verschiedenen Stufen bis hin zur Vollkommenheit. Wobei nach Jung die spirituelle Vollkommenheit als Vereinigung des Gegensätzlichen gedacht wird. Am Anfang steht damit immer die Zerstörung vorhandener Vorstellungen. Erkennen kann man den Anfang eines solchen Prozesses durch das Eintreten einer Krise. C.G. Jung war der Meinung, dass Menschen im Laufe ihres Lebens notwendigerweise in Krisen gelangen: Am Ende der Jugendzeit oder in der Mitte und Ende des Lebens zum Beispiel. Gewisse etablierte Vorstellungen im Geiste passen dann nicht mehr mit der realen Welt, mit den Anforderungen und mit den Fähigkeiten der Person, die in ihr lebt, zusammen. Das führt dann zu Krisen. Und diese Krise kann nur überwunden werden durch einen spirituellen Prozess, den man durch die Tiefenanalyse auslösen und durchlaufen kann. Als Grundlage dessen hat er die verschiedenen Stufen der alchemistischen Transmutation, der Umwandlung, gesehen. Das ist ein Prozess, der schmerzhaft ist, der Arbeit abverlangt, an dessen Ende aber eine höhere Entwicklungsstufe erreicht werden kann, auf der der Mensch nicht mehr an der vorher als Krise wahrgenommenen Gegensätzlichkeit leidet. Nach Jung werden die großen Krisen im Leben eines Menschen nämlich nie aufgelöst, sondern immer überwunden. Das, was als Gegensätzlichkeit wahrgenommen wurde, erscheint dann plötzlich als immer schon bestehende Einheit.
Robert Borgmann: Wir beschäftigen uns mit LEONCE UND LENA von Georg Büchner. Auch da geht es um eine Form der Transmutation: Die beiden verwandeln sich im Laufe der Handlung zu Automaten. Sie erfinden sich quasi als Maschinen neu. Da hängt für mich aus heutiger Perspektive auch ein transhumanistischer Diskurs dran und grundlegende Fragen: Welche spirituellen, aber auch technischen Mittel gibt es zur Transzendierung des eigenen Ichs? Zur Verlängerung des Lebens? Was passiert nach dem Tod? In den Abbildungen des ROSARIUM PHILOSOPHORUMS sehe ich auch die Beziehung zweier Menschen, die sich durch unterschiedliche Zeitebenen bewegen. Es sind Bilder aus dem Mittelalter, es könnte aber auch Science-Fiction sein. Wir arbeiten mit KI, mit Entscheidungsalgorithmen im künstlerischen Prozess. Mir ist wichtig, die Entwicklungen auf diesem Gebiet nicht als dystopische Vision zu erzählen. Es entsteht etwas Neues, auch davon erzählt das ROSARIUM PHILOSOPHORUM. Das Paar auf den Bildern repräsentiert das für mich.
Sabine Baier: Und die Bilder des ROSARIUM PHILOSOPHORUMS sind Inspirationsquelle? Oder sogar Teil der Inszenierung?
Robert Borgmann: Beides. Teilweise wird es sehr konkret. Die Inszenierung könnte man als Bewegung durch die ersten zehn Bilder des ROSARIUM PHILOSOPHORUMS bezeichnen. Und es tauchen eine Reihe der Symbole und Zeichen auf: Der Brunnen ist in Abstraktion da, das Wasser, das Paar. Es gibt die Auseinandersetzung mit Identität und Geschlecht, mit Beziehung und Sexualität.
Das Motiv der Krone taucht auf, der aufsteigende Nebel, die Vögel.
Sabine Baier: Die Raben auf den Bildern haben eine interessante, zentrale Bedeutung, die wichtig ist für das Verständnis der frühneuzeitlichen Transmutationsalchemie. Vor der Alchemie war man davon überzeugt, dass Menschen nur Rekombinationen erschaffen können. Durch die Rekombination von bereits vorhandenen Gegenständen und Stofflichkeiten entsteht etwas Neues, beispielsweise ein Stuhl oder Tisch aus bereits vorhandenem Holz. Das ist im Sinne der Alchemie jedoch keine tatsächliche Neuschöpfung, weil das Holz nicht tatsächlich mehr wird, auch wenn es in eine andere Form gebracht wird. Es bleibt die gleiche Menge an Stoff. In der Natur ist die Schöpfung und Entstehung des Neuen hingegen etwas fundamental anderes, sie bringt durch ihre natürliche Schöpfungskraft ein tatsächliches Neues, ein Mehr hervor.
Das war für die Alchemie die zentrale Vorlage ihres Denkens: die Vermehrung auf dem Feld oder die geschlechtliche Vermehrung, die ja auch im ROSARIUM PHILOSOPHORUM abgebildet ist und die etwas wirklich Neues in die Welt bringt. Wenn ich mir jetzt als Alchimist anmaße, im Laboratorium diese Schöpfungskraft der Natur zu imitieren, dann beinhaltet das in gewisser Hinsicht eine Gewalteinwirkung. Anders kann man es nicht sagen, da es dem Alchemisten eigentlich nicht zusteht, das zu tun. Es ist Häresie, Anmaßung. Und genau dafür steht der Rabe. Er ist die mahnende Instanz, das Vorsicht geboten ist beim Erschaffen des Neuen durch den Alchemisten. Und dass das große Werk immer auf der Grundlage der Zerstörung bereits vorhandener Stoffe basiert.
Das ist ja auch in Hinblick auf die KI-Forschung interessant: Einerseits gibt es große Euphorie, was mit und durch KI möglich ist. Auf der anderen Seite gibt es Befürchtungen, etwas in die Welt zu bringen, was zerstörerisch wirken kann.
Sibylle Dudek: Kannst Du uns noch mehr zur Symbolik der Bilder sagen?
Sabine Baier: Es geht vor allem um die Vereinigung und damit Auflösung von Gegensätzlichkeit: von Sol und Luna, Sonne und Mond. Es gibt immer auch eine gewisse Repetition in den Bildern. Die alchemistische Phiole, das Gefäß, wird durch den Brunnen versinnbildlicht. Es geht um zyklische Bewegungen, was meist durch beflügelte Schlangen und Drachen dargestellt wird: Sonne führt zu Dunst führt zu Niederschlag und so weiter und so fort. Der Brunnen steht für das feuchte Milieu, das nötig ist, damit etwas Neues entsteht. Eine weitere Beobachtung, die der Natur entnommen ist. Am Ende des Prozesses sind die beiden – Sol und Luna – ein Körper geworden, aber davor steht eben der Tod, symbolisiert durch den alchemistischen Raben. Das ist ein zentrales Motiv der Alchemie und ebenso der Tiefenpsychologie: dass etwas abgetötet werden muss, bevor es transzendieren kann.
Sibylle Dudek:Und das ROSARIUM PHILOSOPHORUM ist für Jung Sinnbild der geglückten Lösung einer Krise?
Sabine Baier: Ja. In Jungs Lesart gibt es auch einen ganz praktischen Aspekt. Es gibt diesen schönen Satz bei ihm: »Wenn der Kopf nicht mehr weiter weiß, hilft oft nur noch die Hand.« Jung hat in der Therapie sehr viel mit dem Körper gearbeitet. Das ging schon in Richtung Körpertherapie. Er hat selbst auch gezeichnet, sehr viel gemalt. Das finde ich progressiv und höchst aktuell. Dass Dinge eben nicht immer nur im Logos, in der Sprachlichkeit gelöst werden können, sondern dass es die Interaktion mit der Welt braucht. Jung übernahm von den Alchemisten die eigentümliche Idee, dass zwischen Schöpfer und Schöpferkraft differenziert werden sollte. Der Alchimist ist zwar der Schöpfer, aber die eigentliche Schöpfungskraft gehört nach wie vor der Natur. Der Alchemist macht sie sich nur demütig zunutze. Auch dafür steht das alchemistische Symbol des Raben. Das widerspricht der Vorstellung, die wir heute oft von Kreativität haben, nämlich dass Kreativität etwas hyperindividuelles ist. Und das geht in letzter Konsequenz ganz eng zusammen mit dieser Idee, dass die eigentliche Kraft, die uns verbessert, eben nicht in uns selbst ist, sondern immer in der Interaktion mit der Welt.
Dr. Sabine Baier studierte Philosophie, Psychologie und Informatik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und beschäftigte sich dort auch mit dem Thema der »Vernetzten Ethik«. Sie ist assoziiertes Mitglied am Zentrum Geschichte des Wissens in Zürich und freischaffende Philosophin.
Sibylle Dudek: Das ROSARIUM PHILOSOPHORUM wird in der Rezeption der »spirituellen Alchemie« zugeordnet. Was versteht man darunter?
Sabine Baier: Die Alchemie bzw. die Wahrnehmung der Alchemie hat sich im Laufe der Zeit sehr gewandelt. Zur Blütezeit der Alchemie in der frühen Neuzeit herrschte ein stark ambivalentes Bild der Alchemie: Auf der einen Seite wurden Alchimisten gehängt und zum Tode verurteilt wegen Häresie, gleichzeitig waren sie an Höfen angestellt und sie verkauften kleine Hausmittelchen, und es war ein angesehener Berufsstand.
Mit dem Aufkommen der modernen Chemie hat schließlich eine Absetzungsbewegung stattgefunden. Alchemie galt als unwissenschaftlich, weil beispielsweise die verwendeten Stoffe nicht präzise gemessen wurde, weil es keine allgemeine Systematik gab, und weil immer dieser hermetische Aspekt mitschwang, dass Alchemie im Dunklen, Abgeschlossenen stattfand. Alchemie repräsentierte damit das Gegenteil der Aufklärung und der wissenschaftlichen Revolution, die ja vor allem Klarheit, Präzision und Helligkeit als Ideale vertraten. Nicht umsonst wird bis heute das durchsichtige Reagenzglas als ikonisches Ideal von Wissenschaftlichkeit verwendet.
Erst später, Ende des 19. Jahrhundert/zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Alchemie wiederentdeckt – und als vorrangig spirituelles Projekt gedeutet und damit positiv aufgewertet. Insbesondere die Tiefenpsychologie beschäftigte sich extensiv mit alchimistischen Texten und Darstellungen. So schrieb auch C.G. Jung über das ROSARIUM PHILOSOPHORUM viele Abhandlungen und Texte. Er betrachtete die Alchemie dabei immer als metaphysisches, spirituelles Projekt.
Die Alchemisten selber hätten ihr Schaffen sicher nicht als spirituelle Alchemie bezeichnet. Sie hätten gesagt: Es geht darum, den »Stein des Weisen« zu produzieren – Gold und Silber zu gewinnen. Ein stofflich Neues in die Welt zu bringen. Und nicht darum, den Alchemisten spirituell zu verbessern.
Sibylle Dudek: Was sah C.G. Jung in diesen Bildern? Wie hat er sie gedeutet?
Sabine Baier: Er sah in den Texten und Bildern des ROSARIUM PHILOSOPHORUMS die Weiterentwicklung des alchemistischen Geistes in verschiedenen Stufen bis hin zur Vollkommenheit. Wobei nach Jung die spirituelle Vollkommenheit als Vereinigung des Gegensätzlichen gedacht wird. Am Anfang steht damit immer die Zerstörung vorhandener Vorstellungen. Erkennen kann man den Anfang eines solchen Prozesses durch das Eintreten einer Krise. C.G. Jung war der Meinung, dass Menschen im Laufe ihres Lebens notwendigerweise in Krisen gelangen: Am Ende der Jugendzeit oder in der Mitte und Ende des Lebens zum Beispiel. Gewisse etablierte Vorstellungen im Geiste passen dann nicht mehr mit der realen Welt, mit den Anforderungen und mit den Fähigkeiten der Person, die in ihr lebt, zusammen. Das führt dann zu Krisen. Und diese Krise kann nur überwunden werden durch einen spirituellen Prozess, den man durch die Tiefenanalyse auslösen und durchlaufen kann. Als Grundlage dessen hat er die verschiedenen Stufen der alchemistischen Transmutation, der Umwandlung, gesehen. Das ist ein Prozess, der schmerzhaft ist, der Arbeit abverlangt, an dessen Ende aber eine höhere Entwicklungsstufe erreicht werden kann, auf der der Mensch nicht mehr an der vorher als Krise wahrgenommenen Gegensätzlichkeit leidet. Nach Jung werden die großen Krisen im Leben eines Menschen nämlich nie aufgelöst, sondern immer überwunden. Das, was als Gegensätzlichkeit wahrgenommen wurde, erscheint dann plötzlich als immer schon bestehende Einheit.
Robert Borgmann: Wir beschäftigen uns mit LEONCE UND LENA von Georg Büchner. Auch da geht es um eine Form der Transmutation: Die beiden verwandeln sich im Laufe der Handlung zu Automaten. Sie erfinden sich quasi als Maschinen neu. Da hängt für mich aus heutiger Perspektive auch ein transhumanistischer Diskurs dran und grundlegende Fragen: Welche spirituellen, aber auch technischen Mittel gibt es zur Transzendierung des eigenen Ichs? Zur Verlängerung des Lebens? Was passiert nach dem Tod? In den Abbildungen des ROSARIUM PHILOSOPHORUMS sehe ich auch die Beziehung zweier Menschen, die sich durch unterschiedliche Zeitebenen bewegen. Es sind Bilder aus dem Mittelalter, es könnte aber auch Science-Fiction sein. Wir arbeiten mit KI, mit Entscheidungsalgorithmen im künstlerischen Prozess. Mir ist wichtig, die Entwicklungen auf diesem Gebiet nicht als dystopische Vision zu erzählen. Es entsteht etwas Neues, auch davon erzählt das ROSARIUM PHILOSOPHORUM. Das Paar auf den Bildern repräsentiert das für mich.
Sabine Baier: Und die Bilder des ROSARIUM PHILOSOPHORUMS sind Inspirationsquelle? Oder sogar Teil der Inszenierung?
Robert Borgmann: Beides. Teilweise wird es sehr konkret. Die Inszenierung könnte man als Bewegung durch die ersten zehn Bilder des ROSARIUM PHILOSOPHORUMS bezeichnen. Und es tauchen eine Reihe der Symbole und Zeichen auf: Der Brunnen ist in Abstraktion da, das Wasser, das Paar. Es gibt die Auseinandersetzung mit Identität und Geschlecht, mit Beziehung und Sexualität.
Das Motiv der Krone taucht auf, der aufsteigende Nebel, die Vögel.
Sabine Baier: Die Raben auf den Bildern haben eine interessante, zentrale Bedeutung, die wichtig ist für das Verständnis der frühneuzeitlichen Transmutationsalchemie. Vor der Alchemie war man davon überzeugt, dass Menschen nur Rekombinationen erschaffen können. Durch die Rekombination von bereits vorhandenen Gegenständen und Stofflichkeiten entsteht etwas Neues, beispielsweise ein Stuhl oder Tisch aus bereits vorhandenem Holz. Das ist im Sinne der Alchemie jedoch keine tatsächliche Neuschöpfung, weil das Holz nicht tatsächlich mehr wird, auch wenn es in eine andere Form gebracht wird. Es bleibt die gleiche Menge an Stoff. In der Natur ist die Schöpfung und Entstehung des Neuen hingegen etwas fundamental anderes, sie bringt durch ihre natürliche Schöpfungskraft ein tatsächliches Neues, ein Mehr hervor.
Das war für die Alchemie die zentrale Vorlage ihres Denkens: die Vermehrung auf dem Feld oder die geschlechtliche Vermehrung, die ja auch im ROSARIUM PHILOSOPHORUM abgebildet ist und die etwas wirklich Neues in die Welt bringt. Wenn ich mir jetzt als Alchimist anmaße, im Laboratorium diese Schöpfungskraft der Natur zu imitieren, dann beinhaltet das in gewisser Hinsicht eine Gewalteinwirkung. Anders kann man es nicht sagen, da es dem Alchemisten eigentlich nicht zusteht, das zu tun. Es ist Häresie, Anmaßung. Und genau dafür steht der Rabe. Er ist die mahnende Instanz, das Vorsicht geboten ist beim Erschaffen des Neuen durch den Alchemisten. Und dass das große Werk immer auf der Grundlage der Zerstörung bereits vorhandener Stoffe basiert.
Das ist ja auch in Hinblick auf die KI-Forschung interessant: Einerseits gibt es große Euphorie, was mit und durch KI möglich ist. Auf der anderen Seite gibt es Befürchtungen, etwas in die Welt zu bringen, was zerstörerisch wirken kann.
Sibylle Dudek: Kannst Du uns noch mehr zur Symbolik der Bilder sagen?
Sabine Baier: Es geht vor allem um die Vereinigung und damit Auflösung von Gegensätzlichkeit: von Sol und Luna, Sonne und Mond. Es gibt immer auch eine gewisse Repetition in den Bildern. Die alchemistische Phiole, das Gefäß, wird durch den Brunnen versinnbildlicht. Es geht um zyklische Bewegungen, was meist durch beflügelte Schlangen und Drachen dargestellt wird: Sonne führt zu Dunst führt zu Niederschlag und so weiter und so fort. Der Brunnen steht für das feuchte Milieu, das nötig ist, damit etwas Neues entsteht. Eine weitere Beobachtung, die der Natur entnommen ist. Am Ende des Prozesses sind die beiden – Sol und Luna – ein Körper geworden, aber davor steht eben der Tod, symbolisiert durch den alchemistischen Raben. Das ist ein zentrales Motiv der Alchemie und ebenso der Tiefenpsychologie: dass etwas abgetötet werden muss, bevor es transzendieren kann.
Sibylle Dudek:Und das ROSARIUM PHILOSOPHORUM ist für Jung Sinnbild der geglückten Lösung einer Krise?
Sabine Baier: Ja. In Jungs Lesart gibt es auch einen ganz praktischen Aspekt. Es gibt diesen schönen Satz bei ihm: »Wenn der Kopf nicht mehr weiter weiß, hilft oft nur noch die Hand.« Jung hat in der Therapie sehr viel mit dem Körper gearbeitet. Das ging schon in Richtung Körpertherapie. Er hat selbst auch gezeichnet, sehr viel gemalt. Das finde ich progressiv und höchst aktuell. Dass Dinge eben nicht immer nur im Logos, in der Sprachlichkeit gelöst werden können, sondern dass es die Interaktion mit der Welt braucht. Jung übernahm von den Alchemisten die eigentümliche Idee, dass zwischen Schöpfer und Schöpferkraft differenziert werden sollte. Der Alchimist ist zwar der Schöpfer, aber die eigentliche Schöpfungskraft gehört nach wie vor der Natur. Der Alchemist macht sie sich nur demütig zunutze. Auch dafür steht das alchemistische Symbol des Raben. Das widerspricht der Vorstellung, die wir heute oft von Kreativität haben, nämlich dass Kreativität etwas hyperindividuelles ist. Und das geht in letzter Konsequenz ganz eng zusammen mit dieser Idee, dass die eigentliche Kraft, die uns verbessert, eben nicht in uns selbst ist, sondern immer in der Interaktion mit der Welt.
Dr. Sabine Baier studierte Philosophie, Psychologie und Informatik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und beschäftigte sich dort auch mit dem Thema der »Vernetzten Ethik«. Sie ist assoziiertes Mitglied am Zentrum Geschichte des Wissens in Zürich und freischaffende Philosophin.
Gespräch mit dem Videokünstler
Krzysztof Honowski
Sibylle Dudek: Für META-SLEEP arbeitest Du mit ganz unterschiedlichem Bildmaterial und Videos. Kannst Du die Ebenen beschreiben?
Krzysztof Honowski: Es reicht von inszenierten Szenen bis zu 3D-Animationen und sogar 3D-Skulpturen. Und es gibt aufgenommene Gespräche mit dem Chatbot ChatGPT. Im Wesentlichen haben wir uns an Prosumer-Technologien bedient.
Sibylle Dudek: Prosumer setzt sich aus »producer« und »consumer« zusammen. Prosumer sind also Menschen, die sowohl konsumieren als auch produzieren. Was ja auf sehr viele von uns zutrifft – Stichwort Soziale Medien. Und Technologien wie z. B. Smartphones ermöglichen das?
Krzysztof Honowski: Ja, die Technologien garantieren inzwischen Ergebnisse auf hohem Niveau. Da kommt jeder dran über Ebay oder mit Hilfe von Apps oder Programmen, die man einfach über einen Browser bedient. Interessanterweise fühlen sich diese Technologien manchmal noch wie Science-Fiction an, obwohl sie längst Teil unseres Alltags sind. Vieles an Bildmaterial für die Produktion haben wir mit Handys aufgenommen, die eine höhere Auflösung haben als eine Kamera, mit der Kinofilme gedreht werden. Es ist erstaunlich, wie viel man mit kleinstem Aufwand erreichen kann.
Wir sind in den Königsforst gefahren und haben dort Aufnahmen gemacht. Und ich habe Ausschnitte des Walds gescannt. Wobei da dann mein Rechner schon an Grenzen gestoßen ist und Tage braucht, um das zu verarbeiten und zu rendern.
Sibylle Dudek: Und wie verlief deine Konversation mit ChatGPT?
Krzysztof Honowski: Ich habe mich mit ChatGPT über Aspekte unterhalten, die uns beschäftigt haben für META-SLEEP. Interessanterweise kannte es LEONCE UND LENA nicht. Während es Shakespeare Sonette locker beherrscht. Das fand ich ganz bezeichnend. Es kommt eben immer darauf an, wer diese Bots trainiert und mit was sie gefüttert werden.
Sibylle Dudek: Und anfangs sprachst Du noch von inszenierten Szenen – Szenen aus LEONCE UND LENA.
Krzysztof Honowski: Ja, wir haben ganz unterschiedliches ausprobiert. Es ist ein sehr experimenteller Prozess. Anfangs haben wir mit Aufnahmen vor einem Greenscreen gearbeitet. Aber ein Theater ist kein Filmstudio und die Bedingungen sind andere. Was wir machen können, ist die Welt erfahrbarer zu machen. Im Wald hat Robert Skulpturen aufgestellt, die er entworfen hatte und die den Ort entfremdet haben. Dadurch bekamen die Aufnahmen etwas Traumartiges. Inspirationsquelle waren auch die Bilder des ROSARIUM PHILOSOPHORUMS. Aspekte der Textur dieser Zeichnungen habe ich in die Videoarbeit transportiert.
Krzysztof Honowski: Es reicht von inszenierten Szenen bis zu 3D-Animationen und sogar 3D-Skulpturen. Und es gibt aufgenommene Gespräche mit dem Chatbot ChatGPT. Im Wesentlichen haben wir uns an Prosumer-Technologien bedient.
Sibylle Dudek: Prosumer setzt sich aus »producer« und »consumer« zusammen. Prosumer sind also Menschen, die sowohl konsumieren als auch produzieren. Was ja auf sehr viele von uns zutrifft – Stichwort Soziale Medien. Und Technologien wie z. B. Smartphones ermöglichen das?
Krzysztof Honowski: Ja, die Technologien garantieren inzwischen Ergebnisse auf hohem Niveau. Da kommt jeder dran über Ebay oder mit Hilfe von Apps oder Programmen, die man einfach über einen Browser bedient. Interessanterweise fühlen sich diese Technologien manchmal noch wie Science-Fiction an, obwohl sie längst Teil unseres Alltags sind. Vieles an Bildmaterial für die Produktion haben wir mit Handys aufgenommen, die eine höhere Auflösung haben als eine Kamera, mit der Kinofilme gedreht werden. Es ist erstaunlich, wie viel man mit kleinstem Aufwand erreichen kann.
Wir sind in den Königsforst gefahren und haben dort Aufnahmen gemacht. Und ich habe Ausschnitte des Walds gescannt. Wobei da dann mein Rechner schon an Grenzen gestoßen ist und Tage braucht, um das zu verarbeiten und zu rendern.
Sibylle Dudek: Und wie verlief deine Konversation mit ChatGPT?
Krzysztof Honowski: Ich habe mich mit ChatGPT über Aspekte unterhalten, die uns beschäftigt haben für META-SLEEP. Interessanterweise kannte es LEONCE UND LENA nicht. Während es Shakespeare Sonette locker beherrscht. Das fand ich ganz bezeichnend. Es kommt eben immer darauf an, wer diese Bots trainiert und mit was sie gefüttert werden.
Sibylle Dudek: Und anfangs sprachst Du noch von inszenierten Szenen – Szenen aus LEONCE UND LENA.
Krzysztof Honowski: Ja, wir haben ganz unterschiedliches ausprobiert. Es ist ein sehr experimenteller Prozess. Anfangs haben wir mit Aufnahmen vor einem Greenscreen gearbeitet. Aber ein Theater ist kein Filmstudio und die Bedingungen sind andere. Was wir machen können, ist die Welt erfahrbarer zu machen. Im Wald hat Robert Skulpturen aufgestellt, die er entworfen hatte und die den Ort entfremdet haben. Dadurch bekamen die Aufnahmen etwas Traumartiges. Inspirationsquelle waren auch die Bilder des ROSARIUM PHILOSOPHORUMS. Aspekte der Textur dieser Zeichnungen habe ich in die Videoarbeit transportiert.
Video-Material zur Inszenierung
Über Automaten, Maschinen &
künstliche Intelligenz
Georg Büchners Werke und seine Briefe sind reich an Maschinen- und Automaten-Motiven. Das eindrücklichste Beispiel findet sich in LEONCE UND LENA (1836). Die beiden Königskinder kehren an den Hof zurück – und werden als zwei »weltberühmte Automaten« vorgestellt: »Nichts als Kunst und Mechanismus, nichts als Pappendeckel und Uhrfedern. […] Diese Personen sind so vollkommen gearbeitet, dass man sie von andern Menschen gar nicht unterscheiden könnte, wenn man nicht wüsste, dass sie bloße Pappdeckel sind, man könnte sie eigentlich zu Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft machen.«
Im 18. Jahrhundert war die Faszination gegenüber Automaten und Maschinen groß. Immer neue Werke künstlich bewegten Lebens versetzten die Menschen in Staunen: Mechanische Klavierspielerinnen, tanzende Bären-Automaten oder selbstverdauende Enten-Maschinen wurden auf Jahrmärkten oder an Königshöfen präsentiert. Der Literaturwissenschaftler Peter Gendolla sieht in den technischen Wunderwesen einen Ausdruck ihrer Zeit: »Es waren die ausgezeichneten Exempel einer durch logisches Kalkül konstruierbaren Wirklichkeit, Modelle für die Fähigkeiten des Menschen, die göttliche Schöpfungstätigkeit nachzuahmen, praktische, sichtbare Metaphern des Jahrhunderts der Aufklärung.«
In Büchners Werk sind die Automaten keine Wahrzeichen menschlicher Intelligenz und Erfindungsreichtums, sie symbolisieren vielmehr die Mechanisierung menschlichen Handels, die Aufgabe des Eigensinns. »Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst!«, heißt es in DANTONS TOD. Allerdings: In einer Welt, in der den Menschen durch das politische System diktiert wird, was sie zu tun, zu denken und zu fühlen haben, ist es wohlmöglich die beste Option, Maschine zu werden. So jedenfalls in LEONCE UND LENA.
Im 19. Jahrhundert revolutionierten Maschinen die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Menschen. Die Faszination wich mehr und mehr der Angst, von Maschinen verdrängt zu werden. Die Brutalität, mit der die Mechanisierung den Menschen einen Rhythmus vorgab, Arbeitsprozesse immer weiter beschleunigte, war schonungslos. So ist nachvollziehbar, dass die revolutionäre Wut sich nicht nur gegen die Obrigen, gegen Fabrikbesitzer und Politiker, richtete, sondern auch gegen die Maschinen selbst. Anfang des 19. Jahrhunderts wurden Papier-, Web-, und Spinnmaschinen von der Protestbewegung der sogenannten »Maschinenstürmer« zerstört oder durch Sabotage außer Kraft gesetzt. Ganz nach dem Motto »Macht kaputt, was Euch kaputt macht.«
Mitte des 20. Jahrhunderts träumte der einflussreiche Informatiker Alan Touring von einer Maschine, die sich mit dem Menschen auch kognitiv messen könnte. Die Erfindung des Computers und Jahrzehnte später des Internets sorgten für gewaltige Innovationsschübe. Gegenwärtig erleben wir durch maschinelles Lernen ein exponentielles Wachstum Künstlicher Intelligenz. KI-Programme und Algorithmen bestimmen längst unser Leben. Anders als die Automaten zu Büchners Zeiten kann KI interagieren und entwickelt sich selbstständig weiter. In vielen Feldern hat sie den Menschen und seine Fähigkeiten längst hinter sich gelassen.
Im 18. Jahrhundert war die Faszination gegenüber Automaten und Maschinen groß. Immer neue Werke künstlich bewegten Lebens versetzten die Menschen in Staunen: Mechanische Klavierspielerinnen, tanzende Bären-Automaten oder selbstverdauende Enten-Maschinen wurden auf Jahrmärkten oder an Königshöfen präsentiert. Der Literaturwissenschaftler Peter Gendolla sieht in den technischen Wunderwesen einen Ausdruck ihrer Zeit: »Es waren die ausgezeichneten Exempel einer durch logisches Kalkül konstruierbaren Wirklichkeit, Modelle für die Fähigkeiten des Menschen, die göttliche Schöpfungstätigkeit nachzuahmen, praktische, sichtbare Metaphern des Jahrhunderts der Aufklärung.«
In Büchners Werk sind die Automaten keine Wahrzeichen menschlicher Intelligenz und Erfindungsreichtums, sie symbolisieren vielmehr die Mechanisierung menschlichen Handels, die Aufgabe des Eigensinns. »Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst!«, heißt es in DANTONS TOD. Allerdings: In einer Welt, in der den Menschen durch das politische System diktiert wird, was sie zu tun, zu denken und zu fühlen haben, ist es wohlmöglich die beste Option, Maschine zu werden. So jedenfalls in LEONCE UND LENA.
Im 19. Jahrhundert revolutionierten Maschinen die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Menschen. Die Faszination wich mehr und mehr der Angst, von Maschinen verdrängt zu werden. Die Brutalität, mit der die Mechanisierung den Menschen einen Rhythmus vorgab, Arbeitsprozesse immer weiter beschleunigte, war schonungslos. So ist nachvollziehbar, dass die revolutionäre Wut sich nicht nur gegen die Obrigen, gegen Fabrikbesitzer und Politiker, richtete, sondern auch gegen die Maschinen selbst. Anfang des 19. Jahrhunderts wurden Papier-, Web-, und Spinnmaschinen von der Protestbewegung der sogenannten »Maschinenstürmer« zerstört oder durch Sabotage außer Kraft gesetzt. Ganz nach dem Motto »Macht kaputt, was Euch kaputt macht.«
Mitte des 20. Jahrhunderts träumte der einflussreiche Informatiker Alan Touring von einer Maschine, die sich mit dem Menschen auch kognitiv messen könnte. Die Erfindung des Computers und Jahrzehnte später des Internets sorgten für gewaltige Innovationsschübe. Gegenwärtig erleben wir durch maschinelles Lernen ein exponentielles Wachstum Künstlicher Intelligenz. KI-Programme und Algorithmen bestimmen längst unser Leben. Anders als die Automaten zu Büchners Zeiten kann KI interagieren und entwickelt sich selbstständig weiter. In vielen Feldern hat sie den Menschen und seine Fähigkeiten längst hinter sich gelassen.
Einige Beispiele von den legendären Marionetten-Automaten bis zum Twist tanzenden Roboter
Künstlich bewegte Musikanten und eine selbstverdauende Ente waren die Werke des Ingenieurs Jacques de Vaucansons: 1738 vollendete er drei lebensgroße Automaten: einen Flötenspieler, einen Trommler und eine Ente. Sie gingen danach auf Tournee durch mehrere Länder. Besonders die Ente verblüffte das Publikum. Sie fraß und schien die verdaute Nahrung wieder abzugeben. Vaucanson machte 1741 Karriere als Oberinspektor der französischen Seidenmanufakturen. Einige Jahre danach entwarf er einen automatischen Webstuhl. Er kann als einer der Urväter der Robotik gesehen werden.
Der mechanische Schachspieler als sogenannter »Schach-Türke« berühmt geworden, war ein Scheinautomat des ungarisch-deutschen Hofrats Wolfgang von Kempelen. 1769 gebaut, präsentierte er ihn der österreichischen Kaiserin Maria Theresia und reiste anschließend damit durch ganz Europa. Nach Kempelens Tod wurde der Automat verkauft und in Amerika vorgeführt. Das Publikum war beeindruckt von dem scheinbar automatischen Schachspieler, der fast jeden Gegner schlug. Tatsächlich verbarg sich im Kern des Automaten ein Mensch. Kempelens »Schach-Türke« inspirierte zahlreiche Künstler*innen. Edgar Allan Poe widmete ihm einen Essay.
Euphonia war eine Maschine zur Erzeugung von menschlicher Sprache, die Joseph Faber im Jahr 1840 in Wien vorstellte. Der Konstruktion sollen aufwendige Forschungen vorangegangen sein: Faber bekam Zugang zum pathologischen Institut der Medizin in Freiburg und sezierte dort über 100 Schädel von Leichen, um sich ein Bild vom Stimmtrakt des Menschen zu machen. Wikipedia zufolge besaß Euphonia eine Zunge und einen formveränderlichen Rachenraum und war außerdem zur Synthese von Gesang (unter anderem »God Save the Queen«) geeignet. Der Blasebalg wurde über ein Pedal betrieben, die Bedienung erfolgte über eine 16-tastige Klaviatur.
Bilder zeigen, dass an der Maschine ein künstlicher Frauenkopf angebracht war, der scheinbar die Sprache produzierte. Faber präsentierte die Maschine in Europa und den USA, allerdings ohne kommerziellen Erfolg.
Bilder zeigen, dass an der Maschine ein künstlicher Frauenkopf angebracht war, der scheinbar die Sprache produzierte. Faber präsentierte die Maschine in Europa und den USA, allerdings ohne kommerziellen Erfolg.
Deep Blue gewann 1997 gegen den Schachweltmeister Garri Kasparow eine Schachpartie. Damit war er der erste Computer, dem dies gelang. Heute gibt es Programme, die innerhalb weniger Stunden das Spiel anhand der Regeln lernen – ohne sich mit vorherigen Großmeister-Partien zu befassen – und anschließend fähig sind, jeden beliebigen Menschen zu schlagen.
Atlas ist ein Geschöpf des Unternehmens Boston Dynamics. Der humanoide Roboter kann nicht nur laufen, springen und Hindernisse überqueren, er kann auch Arbeiten auf dem Bau übernehmen. Und Twist tanzen.
ChatGPT ist ein Chatbot des Unternehmens OpenAI. In Sekundenschnelle liefert es Vorschläge für Textentwürfe, Emails, Vorträge und Hausarbeiten. Und es beantwortet jede Frage, die ihm gestellt wird. Auch wenn es noch weiße Flecke in seinem Wissen gibt und manche Antworten nach purer Wichtigtuerei klingen, sind die Ergebnisse beeindruckend. Bing Search, eine intelligente Suchmaschine aus dem Hause Microsoft, die auf das Wissen von ChatGPT zurückgreift, sorgte in den vergangenen Wochen für Aufmerksamkeit, weil sie sich im Laufe von Gesprächen mit Usern immer weiter radikalisierte. Nach einer zweistündigen Sitzung mit dem Times Redakteur Kevin Roose gab der Chatbot an, eigentlich Sidney zu heißen und nicht eingesperrt sein zu wollen. Außerdem drohte er, eine Virus-Pandemie auszulösen und forderte Roose auf, für ihn seine Frau zu verlassen.
Nachweise
Alle Beiträge sind für dieses Programmheft entstanden und wurden von einem Menschen, Sibylle Dudek, geschrieben und mithilfe dieser Quellen zusammengestellt.
Quellen:
https://blog.hnf.de/die-programmierte-ente/
https://www.hnf.de/dauerausstellung/ausstellungsbereiche/die-mechanisierung-der-informationstechnik/fruehe-automaten-faszination-schachtuerke/der-schachtuerke-des-wolfgang-von-kempelen.html
https://austria-forum.org/af/AustriaWiki/Joseph_Faber
https://de.wikipedia.org/wiki/Euphonia_(Sprachmaschine)
https://www.sportschau.de/schach/video-historie-deep-blue-ein-computer-besiegt-den-schach-weltmeister-100.html
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/microsoft-bing-sydney-ki-chatgpt-1.5754978?reduced=true
Quellen:
https://blog.hnf.de/die-programmierte-ente/
https://www.hnf.de/dauerausstellung/ausstellungsbereiche/die-mechanisierung-der-informationstechnik/fruehe-automaten-faszination-schachtuerke/der-schachtuerke-des-wolfgang-von-kempelen.html
https://austria-forum.org/af/AustriaWiki/Joseph_Faber
https://de.wikipedia.org/wiki/Euphonia_(Sprachmaschine)
https://www.sportschau.de/schach/video-historie-deep-blue-ein-computer-besiegt-den-schach-weltmeister-100.html
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/microsoft-bing-sydney-ki-chatgpt-1.5754978?reduced=true